Gemeinsam, stolz, bewegt - 40 Jahre AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth e.V.

Die Rede unseres Kuratoriumsmitglieds Torben Schultes

jubiläum
© Sonja Reinhold - capturesbysonja

Liebe Freund*innen, liebe Wegbegleiter*innen, liebe Unterstützer*innen,

heute sind wir hier – gemeinsam, stolz und bewegt – um 40 Jahre AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth zu feiern.
40 Jahre Engagement, 40 Jahre Solidarität, 40 Jahre Kampf gegen Ausgrenzung, Angst und Unwissenheit.
40 Jahre Menschlichkeit.

Ich erinnere mich noch gut an die Geschichten, die mir Menschen erzählt haben, die von Anfang an dabei waren.
Wie sie in kleinen Räumen saßen, mit wenigen Mitteln, aber mit einem riesigen Herzen.
Wie sie Flyer kopierten, Gespräche führten, Menschen begleiteten – oft unter großem persönlichen Einsatz.
Es war nicht nur Arbeit. Es war ein Akt der Liebe.

Als 1985 die ersten Schritte zur Gründung dieser Organisation gemacht wurden, war die Welt eine andere.
HIV war ein Schreckenswort, AIDS ein Todesurteil. Die Gesellschaft war geprägt von Angst, Vorurteilen und Stigmatisierung.
Menschen wurden nicht nur krank – sie wurden ausgeschlossen, verurteilt, vergessen.

Doch genau in dieser Dunkelheit entstand ein Licht.
Ein Licht der Hoffnung, getragen von mutigen Menschen, die sich nicht abfinden wollten.
Die sagten: „Wir helfen. Wir klären auf. Wir stehen zusammen.“
Die AIDS-Hilfe wurde geboren – aus Notwendigkeit, aber auch aus Liebe.
Liebe zur Gemeinschaft, zur Gerechtigkeit, zum Leben.

Heute, 40 Jahre später, blicken wir zurück auf eine bewegte Geschichte.
Wir sehen die Tränen, die wir geweint haben. Die Freund*innen, die wir verloren haben. Die Kämpfe, die wir geführt haben.
Aber wir sehen auch die Erfolge: Die medizinischen Fortschritte, die Präventionsarbeit, die Aufklärung,
die vielen Leben, die gerettet wurden – und die vielen Herzen, die geöffnet wurden.

Ich denke an einen jungen Mann, den ich vor einigen Jahren kennenlernen durfte.
Er sagte mir:
„Ich bin HIV-positiv. Und ich habe lange gebraucht, um diesen Satz laut auszusprechen – ohne Scham, ohne Angst.“
Heute engagiert er sich selbst in der Aufklärung.
Das ist Wandel. Das ist Mut. Das ist Gemeinschaft.

HIV im Wandel – Fortschritt und Verantwortung

In diesen 40 Jahren hat sich HIV verändert – und mit ihm die Welt.
Was einst ein Todesurteil war, ist heute eine behandelbare chronische Erkrankung.
Dank moderner Medikamente können Menschen mit HIV ein langes, gesundes Leben führen.
Wer unter der Nachweisgrenze lebt, gibt das Virus nicht weiter – eine medizinische Revolution,
die auch gesellschaftlich neue Türen öffnet.

Doch der Wandel ist nicht nur medizinisch.
Auch unser Umgang mit HIV hat sich verändert.
Aus Angst wurde Wissen. Aus Stigma wurde – langsam – Akzeptanz. Aus Schweigen wurde Stimme.
Und doch: Der Weg ist noch nicht zu Ende.

Aktuelle Herausforderungen – Unser Einsatz bleibt unverzichtbar

Auch wenn HIV heute medizinisch gut behandelbar ist, stehen wir vor neuen, komplexen Herausforderungen.
Die größte davon ist vielleicht die Unsichtbarkeit.
HIV ist aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden – und mit ihm oft auch das Mitgefühl, die Aufmerksamkeit, die Solidarität.

„Ich fühle mich manchmal schmutzig, wertlos und wie Müll – nur wegen meiner Diagnose.“
Diese Worte zeigen, wie tief die Stigmatisierung gehen kann.
Sie verletzen nicht nur das Selbstbild, sondern auch die Würde.

Viele junge Menschen wachsen in einer Welt auf, in der HIV kaum noch Thema ist.
Die Prävention wird schwieriger, weil die Bedrohung nicht mehr greifbar erscheint.
Dabei steigen die Infektionszahlen in bestimmten Gruppen wieder – besonders dort, wo Aufklärung fehlt, wo finanzielle Mittel fehlen oder eingeschränkt werden, wo Tabus herrschen, wo Menschen sich nicht trauen, über Sexualität, Schutz und Gesundheit zu sprechen.

Genau hier setzen unsere regionalen Projekte an:

  • Mit dem Checkpoint Nürnberg bieten wir niedrigschwellige, anonyme und kostenlose Test- und Beratungsangebote für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen – auch zu sensiblen Themen wie Chemsex.
  • Für Menschen mit HIV, die zusätzlich mit psychischen oder sozialen Belastungen kämpfen, gibt es bei uns das ambulante Betreute Einzelwohnen. Wir begleiten im Alltag, helfen bei Behörden, bei medizinischen Fragen – und vor allem: Wir sind da.
  • Mit FLINTA-Testabenden* und Angeboten für queere Geflüchtete schaffen wir gezielt sichere Räume, in denen Vertrauen wachsen kann.
  • In Workshops und Seminaren für Pflegekräfte, Jugendliche und andere Berufsgruppen klären wir auf, sensibilisieren und bilden weiter.
  • Unsere Freizeitprojekte – Ausflüge in die Therme, ins Museum oder nach München – schaffen Momente der Freude und Gemeinschaft.
  • Mit unserem Magazin denkraum geben wir Stimmen aus der Community Raum – für Geschichten, Perspektiven und Diskussionen, die sonst oft überhört werden.

„Ich habe lieber auf Sex verzichtet, als einem möglichen Partner sagen zu müssen, dass ich HIV-positiv bin.“
„In der Arztpraxis wurde ich behandelt, als wäre ich gefährlich – obwohl ich unter Therapie stehe und nicht ansteckend bin.“
„Die Community hat mir Halt gegeben. Ich habe gelernt, dass ich nicht allein bin.“

Diese Stimmen zeigen: Unsere Arbeit ist heute genauso wichtig wie vor 40 Jahren.

Wir feiern 40 Jahre gemeinschaftliches Engagement

Wir feiern die Gründer*innen, die in den 80er Jahren den Mut hatten, sich gegen die gesellschaftliche Kälte zu stellen.
Wir feiern die Ehren- und Hauptamtlichen, die unermüdlich aufklären, beraten und begleiten.
Wir feiern die Menschen, die gespendet, unterstützt, mitgekämpft haben.
Und wir feiern die, die heute neu dazukommen – mit frischen Ideen, mit neuer Energie, mit dem gleichen Herzen.

Die nächsten 40 Jahre beginnen heute.
Und sie brauchen uns alle – mit Mut, mit Ideen, mit Herz.

Wir träumen von einer Gesellschaft, in der HIV kein Tabu mehr ist.
In der niemand sich verstecken muss.
In der ein positiver Status nicht mit Angst, sondern mit Wissen und Unterstützung begegnet wird.

Wir wollen unsere Angebote weiterentwickeln – vor Ort und digital .
Wir wollen neue Räume schaffen für Begegnung, für Bildung, für Würde.
Wir wollen junge Menschen erreichen, bevor Vorurteile entstehen.
Und wir wollen älteren Menschen mit HIV zeigen: Ihr seid nicht vergessen.

Was auch kommt – wir sind bereit.
Denn wir haben gelernt: Wandel beginnt dort, wo Menschen sich verbinden.
Wo sie zuhören, wo sie handeln, wo sie lieben.

Die AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth ist nicht nur eine Organisation.
Sie ist ein Zuhause für viele.
Ein Ort der Hoffnung.
Ein Ort der Veränderung.

Lasst uns an diesem Ort gemeinsam weiterbauen.
Für die nächsten 40 Jahre.
Für alle, die noch kommen.
Für eine Zukunft, die niemanden zurücklässt.

Denn wie schon in den 80er Jahren gilt auch heute:
Wir geben nicht auf. Wir resignieren nicht. Wir stehen zusammen.

Danke. Danke für 40 Jahre Vertrauen, Mut und Liebe.

Torben Schultes - Kuratoriumsmitglied, 10.10.2025